Das deutsch-polnische Austauschprojekt am Mariano-Josephinum im Abschiedsmodus

Ein Bericht über den Besuch vom 9. bis 12. April 2024

Weit zurück liegen die Anfänge des deutsch-polnischen Austauschprojektes, das nach 18 Jahren - davon 16 Jahre am ehemaligen Josephinum - personell zu einem Abschluss zu kommen scheint: Alina Nadolna und ihre Kollegin Beata Kazinska sind mit diesem Schuljahr in den Ruhestand getreten. Beide arbeiten jedoch als Ruheständlerinnen weiterhin an ihrer Schule in Zielona Góra als Deutschlehrerinnen. Von den Anfängen im Jahr 2006 mit den vielen Begegnungstreffen und gemeinsamen Unternehmungen wird an anderer Stelle zu berichten sein. Hier soll es um das aktuelle Austauschprojekt gehen, das gerade nach vier Tagen - vom 9. - 12. April 2024 - bei schönstem Frühlingswetter zu einem harmonischen Abschluss gekommen ist.

Dabei hatte es wieder einmal wenig hoffnungsvoll begonnen: Mit zweistündiger Verspätung kam der Regionalexpress mit den 15 SchülerInnen und den beiden Kolleginnen am frühen Dienstagnachmittag in Hildesheim an. Zugausfälle, wie auf der Strecke von Berlin nach Hildesheim, gehören mittlerweile auch für die polnische Gruppe zum Alltag in Deutschland. Auf der anderen Seite konnte die Austauschgruppe, insgesamt 34 Personen, noch am Nachmittag nach 15.00 Uhr im Remter Mittag essen - ein herzliches Dankeschön gilt hier der unerschütterlichen Geduld von Frau Lolenko. Nach der Begrüßung durch den Schulleiter und einem Gang durch das Schulgebäude am Domhof - natürlich durfte die Jesuitengruft nicht fehlen - wurden die SchülerInnen auf die Gastfamilien aufgeteilt und kamen erst zum Sportprogramm am Abend wieder zurück in die Schule. Da sich die meisten der deutschen und polnischen SchülerInnen bereits aus der frühsommerlichen Begegnung in Zielona Góra und Swieradow kannten, gab es sowohl im Basketballspiel als auch im Völkerballspiel keine nationalen Gruppenbildungen, sodass jeweils die stärksten Teams, die es verstanden, die weibliche Hälfte der Mitspielerinnen gut in den Wettkampf einzubinden, siegte. Es wurde vor allem für die Jungengruppe ein sportlich sehr intensiver Abend.

Der Reisebus holte uns am Mittwochmorgen pünktlich um 7.30 Uhr vom Hindenburgplatz zur Fahrt nach Hamburg ab und schaffte es trotz eines Staus vor Hamburg beinahe pünktlich an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme anzukommen. Letzte Absprachen mit der polnischen und der deutschen Gedenkstättenführung wurden noch während der Fahrt vorgenommen. Das Lagergelände und der Museumsteil erinnern an die KZ-Gedenkstätte in Buchenwald: Neben den durchnummerierten Wohnbaracken - sichtbar sind lediglich die in Bruchstein gehüllten Fundamente -, die Platz für 10000 KZ-Häftlinge boten, gibt es den riesigen Appellplatz, den Ort der Krankenbaracken, des Krematoriums und der Arrestzellen sowie eine erhalten gebliebene Steinbaracke, die heute als großflächiges Museumsgebäude dient, in dem die KZ-Lagerbedingungen mit den verschiedenen Lagerutensilien und Hunderte von Einzelschicksalen dokumentiert sind. Namhafte Oppositionspolitiker, wie z.B. der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer, waren hier zeitweilig in Lagerhaft. Viele der Lagerinsassen überlebten die KZ-Haft nicht.  Insgesamt sind im KZ-Neuengamme und in den über 80 Nebenlagern - in unmittelbarer Nähe gab es ein Klinkerwerk und die Walther-Werke für die Elbvertiefung - etwa 50000 Menschen ermordet worden. Die Leichen wurden im Krematorium verbrannt und die Asche der Ermordeten im Lager verstreut. Es gab dort medizinische Versuche und das Gebäude der Arrestzellen wurde zeitweilig sogar als Vergasungsanlage genutzt. In das KZ-Neuengamme wurden Menschen aus ganz Europa deportiert. Während des Zweiten Weltkrieges stellten jüdische Häftlinge die größte Gruppe im Konzentrationslager. Vor der Befreiung des KZ-Lagers am 3. Mai 1945 wurden nicht etwa die Spuren des Verbrechens verwischt, sondern es wurde ein Häftlingskommando gebildet, dessen Aufgabe es war, die Baracken in Stand zu setzen und zu streichen, um die desolaten, menschenverachtenden Haftbedingungen zu kaschieren. Von den Alliierten wurde der Ort nach 1945 als Internierungslager und von der Stadt Hamburg nach der Gründung des Stadtstaates bis 2003 als Gefängnis genutzt. Die Erinnerung und das Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft wurde seit Anfang der achtziger Jahre bis zur Errichtung der heutigen KZ-Gedenkstätte im Jahr 2006 punktuell um das Gefängnisareal angesiedelt. Heute sind diese Gedenkorte, wie etwa das „Mahnmal“ mit der 27 Meter hohen Stele und das „Haus des Gedenkens“, mit dem ehemaligen KZ-Areal verbunden. Die beiden Führungen in deutscher und polnischer Sprache schufen für die Austauschgruppe ein Bewusstsein für das, was man heute über diesen Ort wissen muss.

Ein Kontrastprogramm zur KZ-Gedenkstätte bildete im Anschluss der Besuch der Hamburger City, die von den Landungsbrücken aus erschlossen wurde. Die Austauschgruppe war dort in gemischten deutsch-polnischen SchülerInnengruppen unterwegs. Vom Hamburger Hafen aus mit den flanierenden Menschentrauben, der Straßenmusik und den Gerüchen von Seetang und Fisch verbreitet sich ein Gefühl von Freiheit und Weltoffenheit, ein sehr abrupter Wandel der Gefühle. Die Verarbeitung der so unterschiedlichen Eindrücke erfolgte dann auf der Rückfahrt der Reisegruppe nach Hildesheim.

Der Donnerstagmorgen in Hildesheim war ein sonniger Tag. Dies sollte allerdings bei der heutigen Tagesexkursion nach Hannover nicht so bleiben. Als wir das Ernst-August-Denkmal vor dem Hauptbahnhof in Hannover erreichten, verschwand die Sonne gerade hinter Regenwolken und auch der Regen ließ nicht mehr lange auf sich warten. Stationen des Stadtrundgangs entlang des Roten Fadens waren das Ernst-August-Denkmal, das jüdische Mahnmal am Opernplatz, das Mahnmal der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Ägidi-Kirche und das Neue Rathaus. Dann setzte der Regen ein. In einer Regenpause erreichten wir gerade noch rechtzeitig das Nordufer des von 1934-1936 künstlich angelegten Maschsees, um von dort aus eine Maschseerundfahrt zu unternehmen. Für Einheimische ist so ein Unternehmen wenig spektakulär, jedoch stärkte die Fahrt auf dem Maschsee die Gruppengemeinschaft, zumal wir das Ausflugsboot ganz für uns hatten. Als wir nach etwa 45 Minuten wieder am Nordufer eintrafen - der Maschsee hat lediglich eine Länge von 2,4 Kilometer - hatte es aufgehört zu regnen und nach einem Gruppenfoto im Maschpark und auf der Rathaustreppe konnte der Weg in die Innenstadt - jetzt in deutsch-polnisch gemischten Kleingruppen - fortgesetzt werden: Die Stadtrallye konnte beginnen. Die Fragen zu den Personen, Gebäuden und anderen Sehenswürdigkeiten in Hannover wurden während der Sightseeing-Tour erarbeitet und später ausgewertet. Am Nachmittag wurde es dann doch noch ein schöner, sonniger Tag.

Der Abschlussabend am Domhof wurde zum gemeinsamen deutsch-polnischen Kultur- und Sportabend. Zur Gitarre wurden Lieder gesungen und in der Sporthalle Tischtennis, Basketball und Volleyball gespielt. Die Austauschgruppe benötigte kein festes Kulturprogramm. Sie war für sich genug.

Der Freitagvormittag begann mit einem gemeinsamen Frühstück im Remter. Ab 10.00 Uhr war die Gruppe zu den Hildesheimer Weltkulturerbestätten unterwegs: Am Domhof mit der Bernwardsstatue und in der Michaeliskirche, dem Abbild des himmlischen Jerusalems. Am Grab Bischof Bernwards wurde eine Gebetszeit eingelegt. Anschließend wurde das monumentale mittelalterliche Deckengemälde erschlossen. Durch die Auslagerung der Holzdecke im Zweiten Weltkrieg blieb sie trotz vollständiger Zerstörung der Kirche erhalten. Vor der Michaeliskirche und im Magdalenengarten wurden Fotos geschossen, bevor die Austauschgruppe zum Domhof mit dem Barockportal des Mariano-Josephinums, der Christussäule im Mariendom und dem Rosenstock im Kreuzgang der Kirche zurückkehrte. Am Rosenstock wurde noch einmal an die Gründungslegende Hildesheims erinnert. Der Rosenstock war in ein sattes Grün gehüllt, eine blühende Rose war jedoch nicht zu sehen - Anlass für ein neues Begegnungstreffen, irgendwann.

Der Abschied am Hildesheimer Hauptbahnhof - der ICE nach Berlin traf nahezu pünktlich ein - war mehr als eine Verabschiedung. Geschenke waren ausgetauscht und Karten geschrieben. Es blieb der Wunsch, dass das Austauschprojekt personell auf neue Beine gestellt werden müsste. Hierfür würden uns die beiden polnischen Kolleginnen behilflich sein. Mit unserem Begegnungstreffen war immerhin ein Hoffnungszeichen gesetzt: Wir teilen die gleichen Werte miteinander und wünschen uns für die Zukunft eine friedvolle Entwicklung in Europa mit guten Lebenschancen für eine neue Generation.

Martin Strauß